Neros Goldenes Haus: Untergang und Aufstieg
- Hilda Steinkamp

- 8. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Juli
Domus Aurea - zurück aus Roms Untergrund

64 n. Chr. - Rom in Flammen
Seit seinem 16. Jugendjahr residiert Nero (37-68 n. Chr.) als 4. römischer Kaiser in der Nachfolge Augustus' in seiner Domus Transitoria auf dem Palatin, in einer palastverwöhnten Promigegend in Rom.


Aus gesicherter Entfernung soll Nero dem Flammenspektakel zugesehen haben - bei hedonistischem Zeitvertreib, musisch versunken in sein Spiel auf der Leier.

10 von 14 Stadtteilen Roms sind betroffen. Drei von ihnen werden völlig in Schutt und Asche gelegt. Zu enge, zu hohe Bebauung, ein verheerender Flächenbrand in der damals schon 1 Mio. Einwohner zählenden Metropole.
"Die Christen waren's!",

soll Nero verlauten lassen. Seltsam nur, dass die erste vehemente Christenverfolgung erst etwa zwei Jahre später einsetzt, mit Petrus und Paulus als zwei prominenten Hinrichtungsopfern. Urteil und Tötung ohne Prozess. Meistens. Römisches Strafrecht sah damals schon bürgergerechte Verfahrensweisen vor, die die spätere Rechtsentwicklung in Europa und anderen Teilen der Welt beeinflusst haben. In Neros Regentschaft offenbar keine juristische Konstante.
"Er war's!",

kommt als Verdacht gegen einen konsumverliebten Kaiser unter Kritikern auf. Doch Nero hat andere Prioritäten als sich zu rechtfertigen. Durch den Flächenbrand wird wertvoller Baugrund frei. Der Kaiser bestellt und beaufsichtigt Architekten und Bautrupps, die in nur vier Jahren Gigantisches schaffen.

10 ha Fläche (heute etwa 10 Fußballfeldern entsprechend) werden bebaut und gartenarchitektonisch gestaltet. Mittig darin das Prunkstück: die Domus Aurea, reich verziert mit Gold, Edelsteinen, Perlmutt, Marmorplatten an Wänden, Fliesen auf Böden, Stuck und Fresken an Wänden und Decken.

Ein künstlicher See, Wasserspiele, üppige Vegetation, schattige Plätze zum lustvollen Verweilen - kein Ort für Regierungsgeschäfte, ein einziger locus amoenus, hedonistischer Rückzugsort für einen Einzelnen. Und seine Gäste aus Roms Oberschicht.

300 Zimmer lassen ein opulentes geselliges Leben erahnen. Ob die plebs romana Zugang hatte zu diesem Luxusareal, lässt sich geschichtlich nicht eruieren.
Kaiserliche Megalopolis mitten in Rom. Megalomanie eines Dreißigjährigen, Gebieter über Rom und sein weitläufiges Imperium zwischen Britannia und Nordafrika, Gaul und Syria. Kaiser Augustus' Prinzip, zu herrschen als primus inter pares, als Erster unter Gleichen, hinterlässt in Neros Regentschaft keine Spur. Kaiser Hadrian sollte mit seiner Villa auf 120 ha (118-134 n. Chr.) Neros Anwesen um ein Vielfaches übertrumpfen, allerdings weniger provokativ außerhalb von Rom bei Tivoli gelegen.
"Endlich kann ich leben wie ein Mensch!"
Der Stolz des Bauherrn Nero angesichts seines fertiggestellten Domizils hält sich nicht in Grenzen. Zu groß sein Selbstwertgefühl. Zu ausgeprägt sein hedonistisches Glücksstreben. Zu stark sein Geltungsdrang. Seine etwa 35 Meter hohe Bronzefigur dominiert das Anwesen.
Und doch trägt Nero auch Züge eines fürsorglichen Monarchen. Nach dem Brand stellt er seine Räumlichkeiten Obdachlosen zur Verfügung, entschädigt Brandopfer, lässt breitere Straßen bauen zwischen neuen Häusern mit weniger Stockwerken und Brandschutzmauern (was kostentreibend für die Bewohner ist - ähnlich wie der Einbau von Wärmepumpen, um das Klima im 21. Jahrhundert zu retten - und zu Protesten führt). Zur Volksbesänftigung und -belustigung lässt der Princeps im Circus Maximus Wagenrennen und sportliche Wettkämpfe durchführen, fördert statt blutiger Gladiatorenkämpfe die schönen Künste. Hier wirkt Senecas (ca. 1-65 n Chr.) Erziehung des jungen Thronfolgers zum volksnahen Herrscher nach.

Neros erste Regierungsjahre gelten als sein glückliches Jahrfünft (54-59 n. Chr.). Ein blutjunger Kaiser, kulturell gebildet und unkonventionell, sucht den direkten Kontakt zum Volk, mit Respekt - wie es zunächst scheint - für S.P.Q.R., Senat und Volk Roms, das Erbe der Römischen Republik (ca. 509-27 v. Chr.).
Doch mit wachsender Lust an der Macht umgeht Nero den Senat als politisches Gremium, ignoriert Senecas Mahnschrift An Kaiser Nero über die Milde und entwickelt sich zum Despoten.

Er geht über Leichen, wenn es darum geht, seine Machtstellung zu sichern.

Dazu gehören Mutter Agrippina (die ihn durch Heirat mit Neros Vorgänger Claudius zum Adoptivsohn und Thronanwärter machte, aber mitregieren will), Adoptivbruder Britannicus (Claudius' leiblicher Sohn, drei Jahre jünger, mit Thronansprüchen), Ehefrau 1: Octavia (Claudius' Tochter, die Neros Mätresse und späteren 2. Frau weichen soll), Ehefrau 2: Poppea (nach glücklichen Jahren im Streit mit Tritt in den schwangeren Bauch getötet), letztlich auch Lehrer und Berater Seneca, der von der Denunziationswelle erfasst wird, die Nero in Regierungskreisen auslöst, nachdem ein angeblich geplanter Mordanschlag auf ihn aufgedeckt wird.
Seneca wird 65 von Nero zur Selbsttötung gedrängt. Drei Jahre später steht Nero, vom Senat zum Volksfeind erklärt und entmachtet, selbst vor dieser Entscheidung, die er der Aussicht auf einen qualvollen Peitschentod vorzieht. Beide Männer verabschieden sich suizidal.
Domus Aurea liefert einem glücklosen Tyrannen nicht einmal ein volles Jahr an "Leben wie ein Mensch".
Aus dem dem historischen Gedächtnis verdammt

werden im antiken Rom per Dekret, damnatio memoriae, unliebsame Herrscher: ihr Name auf Schriftzügen, ihr Bildnis im städtischen Raum und im Münzverkehr, ihr Hab und Gut geraubt, wiederverwendet, zerstört.
Neros Palast gerät in Vergessenheit, sein Ruf als umstrittener Kaiser nicht.



Die Domus Aurea wird nach ihrer Entkernung - Baustoff und Inventar - von Neros Nachfolger Titus z.T. abgerissen, mit Geröll zugeschüttet und als Baugrund für sein eigenes Prunkwerk, die Titus-Thermen (80 n. Chr.), genutzt.
Subkonstruktion - eine für das antike und christliche Rom charakteristische Schichten-Bauweise.

Kaiser Trajan wird die Titus-Bäder später durch seine Thermen (109 n. Chr.) baulich in den Schatten stellen. Von beiden Anlage sind heute nur noch wenige Überreste zu sehen.

Teilweise werden sie in der Folgezeit mit Erdreich bedeckt, um Grün- und Gartenanlagen für die Bevölkerung zu schaffen.

Der See auf dem Areal der Domus Aurea wird trockengelegt, an seiner Stelle entsteht das größte Amphitheater der antiken Welt, das Colosseo (80 n. Chr.), Repräsentation kaiserlichen Ansehens wie Wiedergutmachung für die Bürger Roms nach Neros Übergriff auf ihr städtisches Wohngebiet. Event Location mit Galdiatorenkämpfen, Tier- und Menschenjagden und nachgestellten Seeschlachten. Der künstliche Nero-See bleibt Vorbild für die Flutung der Arena.
Nach 1400 Jahren in Vergessenheit
dringt die versunkene Domus Aurea im 15. Jahrhundert buchstäblich wieder ans Tageslicht. Ein Römer rutscht bei Ausgrabungen in den Bäderruinen auf dem Oppius-Hügel in eine darunter liegende Höhle: grotta auf Italienisch. Suchtrupps entdeckten in den luftdicht versiegelten Grotten bestens erhaltene antike Wand- und Deckenmalereien. Sie forschen mit Fackeln nicht in den verschütteten Titus-Thermen, wie erst angenommen, sondern in Neros Goldenem Haus. Was sie fasziniert, ist der Phantasiestil der antiken Ornamente, die der römische Maler Fabullus an Decken und oberen Wandhälften angebracht haben soll. In der Epoche der Renaissance mit ihrer Liebe zur antiken Kunst ein trefflicher Fund!

Nach ihrem Fundort werden die antiken bildlichen Darstellungen le grottesche getauft: seltsam anmutende Malereien mit Menschen, Tieren, Blüten und Ranken aus der Phantasie, Stillleben aus dem Alltag, Szenen aus der Mythologie. Künstler studieren und kopieren ihre Entdeckungen, ritzen ihre eigene Signatur neben die Gemälde.
Raffaello e bottega, seine Malschule, verzieren mit Grotesken nach antikem Vorbild noble Privatdomizile wie Räume des Vatikans. Diese ornamentale Stilrichtung verbreitet sich schnell auch außerhalb Roms und Italiens.

Doch bis zur systematischen Restaurierung der Domus Aurea als eines der versunkenen Schätze Roms dauert es noch weitere drei Jahrhunderte.
Im 18. Jahrhundert beginnt die archeologische Feinarbeit in Neros verschüttetem Haus. Seit 2017 unterhält die Gesellschaft Parco Archeologico del Colosseo Ausgrabungen in Roms historischem Zentrum mit seinen noch unentdeckten Subkonstruktionen.


Drei bis sechs Meter tief hinab in Roms Untergrund

steige ich mit einer Besuchergruppe an einem heißen Junitag. Draußen feurige 34°, drinnen frische 10°. Nicht alle nehmen den Hinweis auf einen textilen Kälteschutz ernst.

Der Untergrund verlockt an diesem Tag doppelt zu einer Erkundung von Neros Immobilien-Stückwerk. Das geht nur mit kundiger Führung und auch erst seit 2017 täglich, nachdem Stützmauern die einsturzgefährdeten Überreste stabilisiert und für Besucher begehbar gemacht haben. Ganze drei Tonnen Erdreich lasten auf dem Dach der Ruine - pro m².

Verkehrssicher gehe ich auf eine Zeitreise durch ein riesiges unterirdisches Labyrinth. Analog durch die Gewölbegänge wie virtuell durch Video-Show und immersives Erleben.







Wieder aufgetaucht ans Licht,

mit Augen, die jetzt mehr sehen und verstehen, entdecke ich immer mehr neroanische Fußabdrücke im heutigen Rom, in der Gastronomie wie in der Unterhaltungskultur:

Und dann die Medien:

Unter dem suggestiven Titel Quo vadis?, dem Nero-Monumental-Film mit Peter Ustinov (1951) und mehr Sensation als Historie, werden Besucher kostenfrei zu großen Streifen der italienischen Filmgeschichte und ihrer Zukunft eingeladen.

Auf der Webseite colosseo.it verkündet NeroBot stolz seine Reanimation durch KI (allerdings mit der Strahlenkrone des Sonnengottes Sol und nur englischsprachig) und macht sich als dienstbeflissener Chat-Partner im Auftrag staatlicher Hoheit digital nützlich.


Nero bleibt hoch im Kurs.
Auch wenn - oder weil?! -
sich Verriss und Glorifizierung,
Mythen, fake news und Geschichtsschreibung
um seine historische Person
ranken.
Eine zeitgemäße Analogie drängt sich da auf?!
Wenngleich aktuell eine andere antike römische Machtkonstellation durch die Presse geistert ...

Roma Eterna eben ;-)
























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