Auf Caravaggios Wegen (III): Er zirkuliert ...
- Hilda Steinkamp
- 24. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen
... populär im Caffé Doria, sakral auf der Piazza del Popolo in Rom

Wer lockt die Jugend und Museums-Ferne zur Kunst?

Ein erstaunliches Museumskonzept in Rom wie in anderen italienischen Städten: Le Mostre Impossibili - die Unmöglichen Ausstellungen.
Alles kunstvolle Kopien von Gemälden einzelner Maler oder der Großen einer Epoche, versammelt an einem einzigen öffentlichen Ort - wie hier im Caffé Doria im Palazzo Doria Pamphilj in der Via del Corso, dem größten ehemals bewohnten Palast in Rom aus dem 15. Jahrhundert, heute noch Residenz der Adelsfamilie. Im oberen Stockwerk beherbergen prunkvolle Säle eine öffentlich zugängliche, aber eintrittspflichtige Kunstsammlung. Der Name? Eine Allianz von Admiral Andrea Doria und Papst Innozenz X. Pamphilj.
Nicht so hochherrschaftlich geht es in den Niederungen des Parterre zu. Hier erwachte 1999 aus den ehemaligen Pferdeställen des Adelshauses das Caffé Doria mit Designermöbeln und Kunstreproduktionen zu glanzvollem Leben. So erzählen mir Maria und Angelo, zwei giovani, die in den umgewidmeten Tierbehausungen fröhlichen Dienst tun, im eleganten Bistrò mit der ehemaligen Travertin-Tränke für Nobelgäule.

Eine museumspädagogische Alternative, diese Mostre Impossibili, wenn Leihgaben von Originalen aus weltweit verstreuten Sammlungen und Museen eine logistische Herausforderung und Ausstellungsräume weiterhin nur einem kleinen Publikum mit Kunstverstand vorbehalten wären.
Elitäres für alle. Kultur demokratisiert!
Ein doppelter Genuss von Kunst und Kulinarik im Caffé Doria - da werden raffinierte und basale Sinne der Besucher angesprochen.
Caravaggios Figuren begegnen mir hier in illustrer Gesellschaft anderer Kunstgestalten aus dem 16. Jahrhundert:


Und hier geht's zum Rundgang durch die Unmögliche Ausstellung im Caffé Doria mit Caravaggios Repro-Gemälden:
Und nun zum sakralen Ort mit Caravaggio-Originalen.
Santi Pietro e Paolo

Zwei Christen, die Kaiser Neros Verfolgungen zum Opfer gefallen sein sollen: Petrus kopfüber gekreuzigt, Paulus enthauptet. Am selben Tag passiert, am 29. Juni zwischen 64 und 67 n. Chr. Ein Feiertag im christlichen Rom, der den heidnischen Festtag zu Ehren von Romulus und Remus verdrängte, den beiden legendären Gründern des vorchristlichen Roms. So weit die Überlieferung.
Was macht Caravaggio aus den Stadtpatronen Roms,
den beiden Gründerheiligen, die seit 1670 prunkvoll als Kolossalstatuen auf dem Petersplatz stehen? Petrus, der Menschenfischer in der Nachfolge Jesu, der Fels, auf dem die katholische Kirche mit ihrem Papsttum gebaut ist. Und Paulus, umtriebiger Missionar, der die ersten christlichen Gemeinden in Europa gründete. Zwei Übermenschen?

Nicht so bei Caravaggio. Er ist kirchengeschichtlich informiert, aber am Menschen interessiert, der aus eigener Kraft gewinnt (Paulus) bzw. ohne göttlichen Beistand scheitert (Petrus).


Kaiser Nero macht Christen für den großen Brand von Rom 64 n. Chr. verantwortlich. Petrus ist Christ. Sein Todesurteil sicher. Seine Kreuzigung kopfüber ist sein eigener Wunsch, aus Demut, konkurrenzlos zu Christus.
Caravaggio fängt die Szene so ein, dass in der Bildkomposition über die beiden diagonalen Lichtstreifen ein zweites Kreuz sichtbar wird: Der Mensch ist des Menschen Kreuz. Eine weltliche Anklage an den römischen Princeps und seine Erfüllungsgehilfen, die mit Hebelwirkung (Figur links unten), Zug- und Hubkraft (Figuren rechts oben und Mitte links) ein Todesurteil mechanisch umsetzen.

Gesichtslose Vollstrecker, wie sie anonym und massenhaft in der Menschheit vorkommen. Und dennoch Menschen, mit schmutzigen Fußsohlen und von körperlicher Mattigkeit, sodass es drei Kerle braucht, um einen Mann hinzurichten.
Petrus mit dem einzig erkennbaren Gesicht wendet seine Augen nicht gen Himmel, der hier vom Maler ausgespart wird, ebenso wie ein göttlicher Lichtstrahl oder eine Engelsbegleitung aus der christlichen Ikonographie. Sein Gesicht verrät kein Leid, seine Augen blicken zum Boden, zum Fundament, gefasst, mit der Gewissheit, dass trotz seines Individualtodes die Christenkirche zukünftig Bestand haben wird.
Selbst im irdischen Scheitern stellt Caravaggio Petrus als einen kraftvollen Mann dar. Entgegen üblicher Alterskorrosion im Körperbau (der Apostel erreicht ein "biblisches" Alter von 60-70 Jahren) glänzt dieser Petrus mit einem gestählten Körper wie nach lebenslangem Krafttraining und dietätischer Disziplin. Dies ist mehr als eine maltechnische Anleihe an Michelangelos anatomisch genaue Körperdarstellung in Bild und Skulptur. Es ist Caravaggios sinnfällige Umsetzung der biblischen Verheißung: Petrus, der starke Fels (pietra), auf dem die Christenkirche gebaut wird. Dazu passt das Bilddetail "Felsbrocken" im unteren mittleren Vordergrund.

Von der Conversione di san Paolo fertigt Caravaggio zwei Varianten an. Die erste, von Tiberio Cerasi, Generalschatzmeister der Apostolischen Kammer, 1600 für dessen Familienkapelle in Santa Maria del Popolo in Auftrag gegeben, zeigt ansatzweise Caravaggios freie Bibelauslegung: mit einem Christus aus Fleisch und Knochen (s. obere rechte Bildecke), der Paulus, von Pferd und Soldaten gewaltsam zu Boden geworfen, die rettende Hand entgegenstreckt. Paulus - vom ungläubigen Saulus mit Gottes Hilfe zum Christentum bekehrt. Das ist Gnade. Und als frisch Konvertierter im konfessionell anders geprägten Römerreich der weltlichen Gewalt ausgesetzt. Das soll unter Nero sein Verderb werden.

Auftraggeber Cerasi stirbt plötzlich, während Caravaggio noch bei der Arbeit ist. Die Erbregelungen verzögern die Auszahlung des versprochenen fürstlichen Lohns von 400 Skudi für die Petrus-und-Paulus-Serie in der Cappella. Das Paulusgemälde verschwindet also erstmal in Caravaggios Studio, landet dann bei einem neuen Besitzer. Der Maler macht sich an eine zweite Version der Paulus-Bekehrung.
Und darin verzichtet er auf das Tumultöse widerstreitender Kräfte in seiner ersten Version: auf die eingreifenden himmlischen Figuren, das schnaubende Pferd, den uniformierten Widersacher. Der Pferdeführer ist jetzt ein schlichter Knecht. Vom immens großen Pferd, seine Vorderläufe nur noch sacht erhoben, geht keine Gefahr mehr aus für den Menschen, der furchtlos unter ihm am Boden liegt. Paulus' Ruhe kommt von innen. Sein Übergang zum Christentum ist ein inneres Ereignis. Den rechten Glauben scheint er aus eigener Kraft und Einsicht gefunden zu haben.

Seine Erleuchtung strahlt auf Pferd und Führer ab (Caravaggios Spiel mit Licht und Schatten). Paulus' ausgestreckte Arme lassen seine "Himmelfahrt", seine selbst gewollte Aufnahme in die Christengemeinschaft erahnen.


Piazza del Popolo

So viel weltliche Symbolik aus Caravaggios Gemälden nehme ich mit durch die Kirchentür von Santa Maria del Popolo auf die weite Piazza del Popolo, einst mit Porta Flavinia das Einfallstor nach Rom, für Invasoren, Besucher, Pilger aus dem Norden. Popolo? Mit Volkes Steuergeldern finanziert. Heißt es.

Hier lebt das Volk, pulsiert das Leben: Freizeit, Unterhaltung, frisch Verbändelte, ermattete Touristen, posierende Influencerinnen mit Gefolge, emsige Schausteller, Kommerz in den strahlenförmig abgehenden Flanierstraßen. Erfrischendes irdisches Vergnügen nach sättigendem Kunst-Verzehr.
Und am Abend mit etwas Glück ein Farbenspiel der Natur:

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