Auf Caravaggios Wegen (I): Er profanisiert ...
- Hilda Steinkamp
- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 2 Tagen
... und emotionalisiert: mit seiner Madonna dei Pellegrini

Zu einem stadtweiten Parkett für Caravaggio
verwandelt sich Rom im frühen Sommer 2025. Für einen Ausnahmekünstler des Barock, der in langen Jahren seines kurzen Lebens (1571-1610) pian piano renommierter residente romano (ca. 1592-1606) wurde.

15 Jahre nach den letzten großen Caravaggio-Ausstellungen in Italien zum 400. Todesjahr des Malers (1610), noch dazu im Anno Santo, mit dem sich alle 25 Jahre der Vatikanstaat als Angelpunkt der katholischen Welt neu feiert, öffnet der

Palazzo Barberini Kunstliebhabenden aus aller Welt einen Flügel mit einer superlativisch annoncierten Gemälde-Show.
Mir leider nicht. Zu spät zurück nach Winter und Frühjahr im kühlen Berlin. Die heißen römischen 2025er-Events noch nicht auf dem Radar.
Schon bald nach Beginn der Ausstellung waren alle Tickets auf sämtlichen Online-Portalen ausverkauft: sold out - esauriti. Nervige Vokabeln.
Nur noch private Exklusiv-Führungen sind jetzt im Juni zu buchen. Ich fühle mich versucht. € 130 sind zwar nicht gerade ein Anreiz für Schnäppchenjäger. Aber das war der Kultursektor ja noch nie. Ich folge der Bestell-Navigation im Ticketportal. Ouch! Nur im Quartett zu haben. Müsste also in Vorleistung gehen mit 4 x € 130.

Drei instant friends mit lockerem Geld in der Tasche - wo sollen die herkommen?!
Laterale Wege gehen! Caravaggio war doch einige Jahre Kunstschaffender in Rom, seit 1599/60 mit öffentlichen Aufträgen für Altarbilder in den vielen Kirchen Roms (immerhin: 1,5 Kirchen kommen auf 1 römische Pizzeria). Da müssen doch Gemälde von ihm in den Nischen der Seitenschiffe - cappelle genannt - hängen, kunstvoll und fest in Marmor gewandet. Denn alle mobilen Caravaggio-Bilder aus Sammlungen in Rom sind für die Dauer der 2025er-Ausstellung ins Barberini umquartiert worden. Die Villa Borghese, die Gallerie Barberini e Corsini etwa sind bis August keine Adresse für Caravaggio-Bewunderer.

Ich buche einen 3-stündigen Rundgang auf den Spuren Caravaggios, in kleiner Gruppe von fünf, wie sich herausstellt, die französische Kunstführerin parliert auch in Englisch und Italienisch. Und brennt für den Maler. Patricia erzählt und erklärt, wir hören gebannt zu, sie kennt Gassen und Brunnen, wo es Schatten, Windzug und kühles Nass gibt. Essentiell bei 34 Grad. Ihre Motivation ist ansteckend. Eine der drei Kirchenstationen bleibt heute unerwartet fürs Publikum verschlossen. Am nächsten Tag, ohne Zeitfenster und mit gewecktem Forschungsgeist gehe ich noch einmal allein auf Streifzug - durch kirchliche und weltliche Konsumtempel. Ich brauche auch Erzähler in Buchform.
Ein Engel weist mir den Weg

zur Cappella Cavalletti in der Basilica di Sant'Agostino auf dem Campo Marzio.

Diese cappella hatte Ermete Cavalletti, hochrangiger Funktionär im Kirchenstaat, als sakrale Gedenkstätte für seine Familie erworben.

Nach seinem Ableben (1602), etwa 1604/05, gaben seine Erben Caravaggio den Auftrag für das Altarbild: Madonna dei Pellegrini. Ein passendes Sujet für diese Kirche.

Denn als Titelkirche der Stadt Rom öffnete sie ihre Pforten Wallfahrenden, die über die beschwerliche Pilgerstraße Via Flaminia von Rimini nach Rom gefunden hatten. Der Legende nach soll auch Caravaggio diesen Zufluchtsort gewählt haben, um nach einem tödlich ausgehenden Streit mit dem Vater eines Mädchens, das er verführt hatte, den Häschern zu entgehen. Diese Tat war auch der Grund, warum der Maler ca. 1606 Rom fluchtartig verließ, nicht ohne zuvor das Gemälde fertiggestellt und seinen Lohn als hochdotierter Künstler kassiert zu haben. Denn den brauchte er als Alimentation, um in Neapel und später auf Sizilien unterzutauchen. Im Zeitalter der italienischen Stadtstaaten ohne zentrale Gerichtsbarkeit war dies ein probate Inkognito-Route für straffällige Bürger.

Caravaggio soll für seine Madonna als Modell Lena engagiert haben, stadtbekannte Geliebte höhergestellter Kirchenmänner. In seiner naturalistischen Darstellung war Lena in der Öffentlichkeit erkennbar. Ein Risiko für seinen Ruf als Maler, zumal die Abbildung "anstößiger Weiber" in sakralen Gemälden kirchenrechtlich untersagt war. Ob Lenas Image als Malers Muse geschädigt werden würde, interessierte niemanden. Unser heutiger Anspruch auf Bildnisrechte in der digitalen Fotoinflation wäre für das frühe 17. Jahrhundert ein anachronistischer Maßstab.

Die Mäuler zerrissen sich
entrüstete Kunstkritiker über das fertige Madonnen-Bild, obwohl tempelgleich von Säulen und Dachaufbau aus Marmor gerahmt: zu profan, zu gewöhnlich, die Madonna ohne göttliche Aura vor schlichter Hütte, die Pilger zerlumpt und mit schmutzigen nackten Füßen. Und der Maler ohne decoro, Anstand. Hier standen mittelalterliche Kunsttheorien Pate: Maria als Figur mit überirdischer Strahlkraft, wie man glaubte, dass es für die Gottesmutter schicklich sei.
Auf Caravaggios innovative Art
strahlt dieses Bild durchaus. Nur anders. Mit den für ihn typischen Gestaltungsmitteln: Kontrast von Licht und Schatten und diagonalem Bildaufbau. Nicht traditionell von oben, aus celestischer Höhe, fällt göttliches Licht auf Maria und das Kind im üblichen Bildmittelpunkt. Caravaggios Lichtstrahl führt von Marias marmorweißem Antlitz am oberen linken Bildrand diagonal über die weiße Haut des Kindes bis hin zur hellen Pilgerkleidung unten rechts. Eine Achse der Verbindung. Niemand steht überhöht im Mittelpunkt. Mit ihren den Pilgern zugeneigten Häuptern verstärkt Mutter mit Kind noch den Eindruck, dass hier eine Episode des Neuen Testaments auf eine reale irdische Ebene transponiert wird. Ein Mensch für die Menschen. Profanisierte Evangeliengeschichte - ja; im Sinne von abgebauter Hierarchie zwischen Gott und Mensch. Und dennoch keine Entsakralisierung. Marias Position auf einem Steinsockel, ihre anmutige Körperhaltung stehen in der Tradition antiker Frauenskulpturen. Das abgetönte Blau und Rot ihres Kleides zeugt von Alltagsgebrauch - bewusst von Caravaggio kontrastiv gewählt gegenüber den christlich-symbolischen Intensivfarben für Marias Gewänder: Himmelsblau für den Gottesthron, Blutrot für die Christgeburt. Und keine Spur von Eleganz wie in üblichen Madonnengewändern: als Zeichen ihrer inneren Schönheit und des Reichtums an göttlicher Gnade.

Caravaggios Madonna ist irdisch.
Strahlt Würde aus als Mensch. Als Mutter. Aus eigener Kraft. Mit all ihrer Fürsorge für ihr Kind. Und das erschöpfte Pilgerpaar.
Das zeigt Wirkung. Frauen, normal in Kleidung und Gestus, bleiben lange vor der Madonna in der Cappella Cavalletti stehen, offensichtlich erstaunt, emotionalisiert von der Ähnlichkeit zwischen der biblischen Mutter Maria und den vielen Marias dieser Welt.
Überhaupt lebt der Kirchenraum vom Zustrom weltlicher Touristenpilger:
Kinder, Mütter mit Babys, junge Frauen in sommerlich schulterfreien Mini-Outfits, ordentlich gewandete Ordensfrauen, Männer und Burschen in Bermuda-Stimmung.

"Ein großes, altes Baby",

meinte Patricia auf unserem ersten Rundgang.
Tatsächlich, das Jesuskind ist für sein junges Alter groß geraten. Das passiert einem Bildkomponisten wie Caravaggio?
Hm, wohl eher ein Relikt aus der tradierten christlichen Ikonografie. Kein normales Kind eben, Gottes Sohn. Übermenschliche Dimensionen sollen göttliche Größe vermitteln. Caravaggios Zugeständnis an Zeitgeist und Auftraggeber?
Oder doch vielleicht so: Er konnte einfach keine Babys. Malen. Mangels Modell. Mangels eigener Kinder. Die sind nicht bekannt von ihm. Seine homöoerotische Neigung schon.
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Fortsetzung folgt:
Auf Caravaggios Wegen (II):
Er rebelliert ...
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