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Auf Caravaggios Wegen (II): Er rebelliert ...

  • Autorenbild: Hilda Steinkamp
    Hilda Steinkamp
  • vor 1 Tag
  • 6 Min. Lesezeit

... und aktualisiert die Bibelgeschichte mit seiner Matteo-Trilogie

Caravaggio, Matirio di Matteo (1599-1600), Cappella Contarella in San Luigi dei Francesi, Roma
Caravaggio, Matirio di Matteo (1599-1600), Cappella Contarella in San Luigi dei Francesi, Roma
1600 - Giubileo Controriforma a Roma

Seit Martin Luthers Thesenanschlag (1517) und mit seiner wachsenden Gefolgschaft an umdenkenden Christen lebt die katholische Welt in Unruhe und der Vatikan in fortgesetzter Rechtfertigungsnot. Das Anno Santo1600 ist gedacht als religiöses Glamour-Event zur Imageverbesserung der römisch-katholischen Kirche und Stärkung ihrer ideologischen Vorherrschaft im Christentum. PR-Strategien in der Gegenreformation.

Consiglio di Trento, 1642-63
Consiglio di Trento, 1642-63
Zwar stand das Konzil von Trient bereits seit 1542 und mit langem Atem (bis 1563) ganz im Geiste der Gegenreformation, prüfte protestantische Lehren (z.B. den Abbau des Kirchenapparates und den direkten Draht der Menschen zu Gott, ohne priesterliche Vermittlung) und Vorwürfe des Machtmissbrauchs in der römisch-katholischen Kirche (v.a. den Ablasshandel) und hatte per Dekret die Bibelgeschichte auch dem popolo semplice e non colto näherbringen wollen, etwa durch volksnahe figürliche Darstellungen in der sakralen Kunst. Die lateinische Schrift sollte indes weiterhin biblisches und liturgisches Hoheitswissen den kirchlichen Würdenträgern sichern, ein Geheimnis den meisten Katholiken. Reformator Luther war mit seiner Biblia Deudsch (1534) den katholischen Bedenkenträgern weit voraus und vielen Christen näher.
Caravaggio, gefragter Auftragsmaler
San Luigi dei Francesi, in Haüserreihe eingebaut
San Luigi dei Francesi, in Haüserreihe eingebaut

für römische Sakralkunst seit 1599 (La Vocazione di Matteo, s.u.), wird im selben Jahr mit der Herstellung eines großformatigen Gemäldes für die Cappella Contarella in der Kirche San Luigi dei Francesi zum Giubileo1600 betraut. 323 x 343 cm, das sind mehr als 11 m² Leinwand, die zu gestalten und mit Öl zu bemalen sind. Die Frist ist knapp: ein Jahr Arbeitszeit; der Lohn großzügig: 400 Scudi sichern dem Maler etwa ein Dreifaches an Jahreseinkommen, wie es in der Zeit für gutgehende Handwerker- und Händlerbetriebe üblich ist.


Das Martirio di Matteo

stellt Caravaggio vor eine doppelte Herausforderung.


(1) Das Gemetzel soll der Überlieferung nach öffentlich stattgefunden haben, während Matthäus seinen missionarischen Aufgaben nachgeht und Neophyten, Neubekehrte, tauft. Das verlangt eine Personenvielfalt vom Meister der singulären Figuren.


Caravaggio löst das Problem auf seine Weise. Mit seinem ersten Entwurf und einem Gewimmel an kleinen Figuren wäre er nicht rechtzeitig zum Jubiläumsjahr fertig geworden. Also legt er eine zweite Farbschicht auf dieselbe Leinwand (das finden Forscher mit Röntgentechnik 1951 heraus), mit sorgfältig ausgesuchten Lebend-Modellen schafft er größere Gestalten.


(2) Sakrale Kunst soll nach Dekret des Trienter Konzils volksnah werden, aber zugleich katholische Glaubenssätze als Brandmauer zur Reformationsbewegung zementieren, etwa dass der Märtyrertod das größte Glück ist, das ein Mensch in Ausübung seines Glaubens erleben kann; dass der Tod für den Glauben - wie bei Matthäus - zur Heiligsprechung und damit zu größerer Gottesnähe führt.

Hier geht Caravaggio ganz eigene Wege. Sein Matteo erfährt keine Überhöhung durch den Märtyrertod. Sein Augen sind nicht gen Himmel gerichtet, von dem Erlösung zu erwarten wäre. Lediglich ein Engel reicht ihm aus der Wolke eine Märtyrerpalme als Anerkennung für seinen Opfertod. Doch selbst diese Trophäe gönnt ihm der Folterknecht nicht, er hält Matthäus' ausgestreckten Arm fest. Erstaunlich, dass dieser Erfüllungsgeselle der Christenverfolgung, trotz seines muskulösen Körpers - ganz im Stil antiker Marmorhelden - und der Kraft seines Schlagstocks in der festen rechten Hand, in der Folterbewegung innezuhalten scheint, den letzten tödlichen Schlag nicht ausführt. Was ihn bannt, ist eine Strahlkraft, die vom gepeinigten Opfer in seinem leuchtendweißen Rock aus- und auf den Peiniger übergeht. Kein Schmerz im Gesicht des Opfers, auch keine Verklärung. Pure stumme Anklage. In der Lichtschneise dieses Bildes werden vom anklagenden Opfer Körper und Kopf des Folterers angestrahlt, sein Gesicht drückt Überraschung aus, eine Art erleuchtende Einsicht. Worin? Dass ein Mensch durch ihn einen grauenvollen Tod erleidet. Wegen seiner Andersgläubigkeit.


Auf Caravaggios Leinwand braucht es keinen Einhalt durch göttliche Intervention, kein hohes Gericht, das ein Martyrium zu menschlicher Größe erhebt. Die Menschen im Schatten rund um die exponierte grausame Mittelpunktszene schauen entsetzt und fliehen doch nicht in Panik. Das ist Anklage genug. Das ist grausam genug: Ein Mensch stirbt. Kein Held. Unter den Zeugen am linken mittleren Bildrand verdoppelt der Maler durch sein Selbstporträt die Anklage seiner Bildästhetik.


Diese Feinheiten in Caravaggios Zeichensprache haben wohl nicht die Sensoren wie die Zensuren der kirchlichen Auftraggeber erreicht. Caravaggios eigenwillige Bibelinterpretation geht ungehindert und pünktlich auf seinen prominenten Kapellenplatz.


Und verbreitet genug Gegenwind zur Reformation im Anno Santo 1600: mit ihrem Appell an Betrachter, der Gefährdung der katholischen Glaubensausübung als Zeitzeugen ins Auge zu sehen und zu verhindern, dass sich die blutigen Religionsstreitigkeiten im frühen Christentum als Fehler der Vergangenheit wiederholen. Das römische Jubiläumsjahr 1600 im Zeichen der Gegenreformation ahnte noch nichts vom Flächenbrand des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648).


Jahrhunderte später erfährt Caravaggios Märtyrerszene eine zeitaktuelle Fortsetzung in Picassos Guernica (1937). Dessen abstrakte Figurensprache betont noch mehr die Grausamkeit menschlichen Gemetzels im Spanischen Bürgerkrieg, ohne Täter, ohne Opfer, ohne Strafe.


Caravaggio kopiert und assimiliert

in der Vocazione di Matteo (1599/1600), seiner ersten öffentlichen Auftragsarbeit mit 150 Skudi anständig honoriert, die die linke Seite der Cappella Contarelli ziert.


Volksnähe - ja! Matthäus' Herkunft als römischer Steuereintreiber Levi, bevor er in den Stand eines Apostels erhoben wird, vermittelt der Maler durch das Geldgeschäft, das der uniformierte Zöllner hoheitlich mit Geschäftskontakten am rustikalen Tisch abwickelt.


Auch Bibeltreue? Nicht in orthodoxer Auslegung. Der berühmte Fingerzeig aus dem Fresco La Creazione di Adamo (1508-12) in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo Buonarroti, Caravaggios großem Vorgänger in Rom, findet sich in der Berufung Matthäus' wieder. Doch Caravaggios Christusfigur (im dunklen Bildhintergrund rechts, vor ihm Petrus) zeigt nicht mit ausgestrecktem "göttlichen" Zeigefinger auf den Zöllner, sondern mit Adams leicht gebogenem Finger.



Ein Rollentausch? Caravaggio kopiert ein Bildelement seines Vorbilds Michelangelo und assimiliert es für seine eigene künstlerische Botschaft. Seine Christusfigur agiert hier nicht als Gottessohn, sondern als ein von Gott erschaffener Mensch, wie Adam. Die Berufung Levis zum Apostel und späteren Evangelisten erfolgt damit aus des Malers Sicht nicht von Gottes Gnaden, sondern durch einen Christenmenschen, der ihm diese verantwortlichen Aufgaben zutraut: Verbreitung und Niederschrift des christlichen Glaubens. Entsprechend erstaunt deutet der Berufene mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sich selbst: "Meinst du etwa mich?" Immerhin gilt seine Berufsgruppe als korrupt, keine Qualifikation für einen Jünger Jesu.


Dass Petrus erst nachträglich ins Bild eingebaut wird, durch teilweises Übermalen (Caravaggios Stileigentümlichkeit) der Christusfigur und als Mittler zwischen rechter und linker Bildhälfte, muss man wohl als Zugeständnis an die geltende Bibelauslegung sehen: Petrus, der Stein, auf dem die Kirche gebaut ist, das Petrusamt der Päpste als die Institution, die zwischen Himmel und Erde vermittelt. Aber auch Petrus - nach Caravaggio - kein Gottgesandter, sondern ein Gottesgeschöpf, mit Adams Handgeste.


Caravaggio zügelt sich

und verfolgt mit seinem dritten Matteo-Bild seine innovativen künstlerischen Absichten subtiler. Die kirchliche Zensur trifft seine erste Version von Matteo e l'angelo (Bild links). Sie entsteht 1602, etwas später als die beiden anderen Matteo-Bilder. Offensichtlich lässt sich der Maler mit seinem etablierten Ruf als Sakralkünstler dazu verlocken, in einem höhere Risikobereich zu spielen, ästhetisch. Nur drei Monate Kommissionszeit. Zu Pfingsten, am 23.5.1660, soll die Arbeit hängen.


Alles an dieser ersten Matteo-Figur, dem frisch berufenen Apostel und Evangelisten,

  • ist bäurisch-derb, aber vital: seine schlichte Kleidung, seine entblößten Arme und Beine, die unelegant übereinandergeschlagenen Beine. Seine muskulöse Körpergestalt erinnert zwar an die anatomisch genauen Darstellungen von Michelangelo und Leonardo da Vinci, die hierfür Leichen von Mensch und Tier sezierten. Dennoch: Caravaggios Matteo fehlt die klassische Erhabenheit eines Davide seines Bildhauer-Kollegen Michelangelo aus der Renaissance;

  • ist unbeholfen, unkultiviert: Er lässt sich beim Schreiben des Evangeliums die Hand von einem Engel dicht an seiner Seite führen, was für seine geringe Bildung spricht und dafür, dass die Niederschrift nicht sein Werk ist, sondern er als Gottesgehilfe fungiert;

  • vermittelt eine dumpfe erotische Nähe zur überaus femininen Engelsfigur mit ihrem hüfthoch seitlich geschlitztem Rock und engen Körperkontakt zum Mann.


Letztlich ist es wohl diese geballte Körperlichkeit, die nicht im Sinne der Auftraggeber für das mittlere Altarbild taugt. Nackte Beine und Füße mitten über dem Altar? Eine Entweihung des Sakralraums! Pfingsten naht. Die Zeit drängt. Caravaggios 2. Version zeigt Matteo in Gelehrtengestalt und klassisch bodenlanger Robe in edlem Rot und antikem Faltenwurf. Auch die Engelsfigur - nunmehr männlich und nicht ohne Ähnlichkeit zum Maler - ist dekorativ und artig in lockere Tuchbahnen gehüllt und in schwebender Haltung auf Körperdistanz gesetzt. Ganz in der Tradition angelischer Figurationen in der Kunst.


Und doch hinterlässt Caravaggio seine eigene Handschrift auch in diesem Gemälde.

Evangelist Matteo bleibt, jetzt zwar federführend, verunsichert angesichts seiner Schreibaufgaben. Der Engel zählt mit den Fingern auf, was der Gelehrte zu Papier bringen soll. Dessen wackelige Kniebeuge auf einem Holzschemel erinnert an einen unkonzentrierten Schüler auf der Schulbank, der weder Lust noch Talent zum Schreiben hat. Schreiben ist eben eine Kulturleistung, eine Anstrengung, keine göttliche Eingebung.


Das ist Caravaggios Kunstgriff, um die Trennung zwischen Kunst und Leben, zwischen Gemälde und Betrachter aufzuheben und reale Menschen in diese Szene einzubinden. Kein begnadeter Schriftgelehrter. Kein Supermann, dieser biblische Ghostwriter. Ein Chronist in ungesicherter Erwerbslage. Steuereintreibung im alten Rom ist ein lukrativeres Amt.

Jetzt ist die Matteo-Trilogie in der Cappella Contarelli komplett. Und weckt das Staunen im Anno Santo 2025.
Jetzt ist die Matteo-Trilogie in der Cappella Contarelli komplett. Und weckt das Staunen im Anno Santo 2025.

Draußen vor dem Kirchenportal

haben junge Menschen auf den Kirchenstufen keine Schwellenangst vor dem massiven Kirchenbau und seinen Kunstschätzen hinter ihnen. Viele hab' ich drinnen gesehen. Erst als ein Livrierter sie in rüdem Ton und Staccato-Englisch (Stande uppe. No birra. Gette away!) aus dem Schattenbereich verscheucht, weichen sie. Um einen Block weiter lohnendere Ziele anzupeilen. Junge vitale Modelle ganz nach Caravaggios Geschmack:


Caravaggio, San Giovanni Battista (1605/06) Galleria Corsini, Roma
Caravaggio, San Giovanni Battista (1605/06) Galleria Corsini, Roma

Mit seinem Sinn fürs Sinnliche und Vitale im irdischen Leben: Der Maler hätte wohl eine frische Leinwand gespannt. Und einen zahlungswilligen bürgerlichen Auftraggeber gesucht.


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Letzte Fortsetzung folgt:

Caravaggio (III)

 
 
 

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