Geadelt, geschändet, gerächt, geköpft
- Hilda Steinkamp

- 30. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Okt.
Beatrice Cenci & famiglia auf dem Schafott vor der Engelsburg

Rom - caput mundi im Heiligen Jahr

Was ist los in Rom, an diesem normalen hitzig-hetzigen Wochentag Ende Juli? Als wäre Rom immer noch caput mundi, die Hauptstadt der Welt. Ein geflügeltes Wort für Rom als Machtzentrale im Römischen Reich, dem größten aller Zeiten, das den Untergang überlebt hat.

Und heute? Massen strömen auf die Engelsburg zu, einen der Hotspots auf Blitztouren durch das Heilige Jahr 2025. Zum Vatikan führt ein schneller Pilgerpfad.

Der schmale Ponte Sant'Angelo quillt über vom Ansturm der Turbo-Touristen, fast wie zu Zeiten des Kirchenstaats, wenn eine Hinrichtung angekündigt war, Familien sich auf Straßen, Brücke und Tiberufer drängten, wo Verkaufsstände fürs leibliche Wohl der Zuschauer sorgten und, bevor der Henkersmann wieder sein Schwert schwang, Kinder auf die Schultern der Eltern gehoben wurden, damit sie besser sehen und verstehen konnten, was passiert, falls sie sich als Erwachsene daneben benehmen sollten. Drastische Pädagogik der Abschreckung.
Zum Henker mit dem Cenci-Clan!

So urteilte nicht das römische Volk, sondern das Strafrecht des Kirchenstaats. Auf der Piazza Sant'Angelo mit dem Schwert geköpft wegen Vater- bzw. Gattenmordes wurde 1599 Beatrice Cenci, 22 Jahre jung, zusammen mit ihrer angesehenen Patrizierfamilie. Nicht jedes Haupt konnte auf dem prominenten Schafott fallen. Dazu brauchte es eine gesellschaftliche Fallhöhe. Die hatten sie.
Bei der Hinrichtung soll halb Rom auf den Beinen gewesen sein, weniger als Schaulustige denn als Fürsprecher im letzten Moment. Im Gedränge auf dem Ponte Sant'Angelo und am Flussufer kam es zu mehreren unplanmäßigen Todesfällen: totgetrampelt, von der Brücke gestürzt, im Tiber ertrunken. Nach jedem Schwertschlag ein Volksaufstand, den die Polizei nur mühsam unter Kontrolle bringen konnte.
Graf Francesco Cenci
war bekannt als Haustyrann, Lebemann und Straftäter. 12 Kinder und zwei Ehefrauen behandelte er wie Leibeigene, mit Misshandlung, Nahrungsentzug, Hausarrest, Gefangenschaft, Eheverbot, Enterbung. Geldstrafen für Schändung beglich er mit leichter Hand aus seinem beträchtlichen Scudi-Vermögen, dem Scheiterhaufen wegen seiner Kapitalverbrechen Homosexualität und Mord entging er durch Bestechung der Justiz. Aber Inzest mit der eigenen Tochter? Blieb ja in der Familie, war strafrechtlich irrelevant.

Die misshandelte Tochter bat Papst Clemens VIII. um Hilfe: für Eheschließung oder Ordensbeitritt. Beides hätte sie dem Zugriff des Vaters rechtswirksam entzogen. Der päpstliche Vater schenkte ihr kein Gehör. Er spekulierte bereits mit dem Niedergang des zerrütteten Cenci-Clans, dessen in Teilen ergaunerter Besitz dann zurück an die Kurie fallen würde. Gier vor Gnade! Und das vom obersten Hirten in der Stellvertretung Gottes auf Erden. Auch eine Begnadigung beim späteren Prozess mit hoher Bevölkerungsanteilnahme lehnte er ab und beschädigte so das päpstliche Ansehen. Berechtigte Notwehr wäre auch im Kirchenstaat eine griffige Rechtsnorm für ein milderes Urteil gewesen.
Mit Gewalt gegen Gewalt
Die geknechtete Cenci-Familie entschloss sich auf Beatrices Betreiben 1598 zur Ermordung des Haustyrannen im Schlaf: mit Opium betäubt, mit dem Hammer erschlagen, aus dem Fenster auf einen Baum geworfen oder durch angesägte Holzbohlen des Balkons auf den Hof - auch diese römische Geschichte grenzt immer wieder an Legende. Es sah nach Unfall aus. Der Arzt attestierte, der Bestatter agierte, die Familie atmete auf. Kurz. Bis ein gedungener Helfeshelfer sich verdächtig machte, die Obrigkeit stutzte und mit der Exhumierung eine unnatürliche Todesursache ans Licht kam.

Die Kurie machte kurzen Prozess mit den Verdächtigen: kein Indizienprozess, Schuldzuweisung durch Geständnis unter Folter. Der war niemand gewachsen. Geschont wurde der jüngste Spross. Von dem kurzerhand kastrierten Knaben war keine Nachkommenschaft mit rechtlichen Ansprüchen zu erwarten.
Abbitte

wurde erst 1999 für Beatrice Cencis Hinrichtung geleistet. 400 Jahre später, wie für Giordano Bruno. Mit einer Steininschrift an der Fassade des Corte Savella in der Via di Monserrato, ihrem damaligen Gericht und Gefängnis, wird sie als Opfer eines unfairen Prozesses gewürdigt.

Bereits 1911 wurde ein Straßenzug in Tibernähe in Via Beatrice Cenci umbenannt.

Öffentliche Huldigungen an eine Frau, deren früher Kampf gegen Gewalt und Machtmissbrauch in der patriarchalischen Familie im öffentlichen Bewusstsein bleiben soll.

Ins kulturelle Gedächtnis nicht nur der römischen Bevölkerung ging Beatrice Cenci als Heldin ein, oft mehr geschönt als geschichtstreu. Belletristik und Kunst, Oper und Musical, Kino und TV lassen ihre Geschichte bis in unsere Zeit fortleben.
Gegen diese Lobby verhallen Stimmen, die auch eine andere Version für möglich halten: Die Tochter vom kalt kalkulierenden Kaliber des Vaters will ein Kind von ihrem nicht standesgemäßen Wächter-Liebhaber aus gesellschaftlicher Schmach und Angst vor väterlichen Sanktionen verschweigen und stiftet dazu den Kindsvater zur Ermordung des Tyrannenvaters an.
Wie auch immer - Beatrice Cenci erhält Publikums-Likes ohne Ende seit über 425 Jahren. Ein Reigen auch namhafter Künstler betreibt für sie Influencer-Marketing.
Vom Kerker zur Luxusimmobilie
Beatrice Cencis Gefängnis in der Via di Monserrato wurde von einer geschäftstüchtigen Frau geführt. Ungewöhnlich für die Zeit. Je mehr Insassen, desto größer ihr Profit. Dazu wurden auf den vier Etagen des Gebäudes die Räume in winzigste Einheiten parzelliert, meist ohne Fenster, ohne sanitäre Anlagen, alle viel zu klein, um die Gliedmaßen ausstrecken zu können. Wie Ställe wurden die Zellen gelegentlich ausgemistet, die Insassen unterdessen auf den Hof geschickt, nicht etwa zur Lockerung ihrer geschundenen Körper, sondern zur Geißelung mit Bleikugel-Peitschen.

Der heutige Wohnblock über die Länge einer Straße wurde im 17. Jahrhundert neu gebaut, ein neues Gefängnis an einem anderen Standort menschenwürdiger errichtet. Die Wohneinheiten mit komfortablen 80 qm bringen einen monatlichen Mietzins von fürstlichen € 4000 kalt ein. Über die Verkaufspreise für Wohneigentum schweigen die Vermittler. Es ist ohnehin alles vermietet oder verkauft. Die Warteliste endlos. Die schillernde Immobiliengeschichte hat ihren Reiz. Und Marktwert.
Castel Sant'Angelo - schaurig-schöner Schauplatz
Henker und Engel - wie passt das?
Im 6. Jahrhundert wütet die Pest, von Nordafrika bis Nordeuropa, mit enormen Bevölkerungs- und Wirtschaftsverlusten auch im Kirchenstaat. Erzengel Michael soll Papst Gregor I. hier, wo Kaiser Hadrians Mausoleum stand, ein Ende der Pest verkündet haben. Was medizinisch damals unmöglich ist, kann der Glaube erreichen. Glaubt man. Die Pandemie ebbt ab. Die zeitliche Nähe zur Engelserscheinung muss keine ursächliche sein. Sagen Tatsachenmenschen.

Dankbarkeit und Dukaten der Kirche führen zum Umbau der Kaisergruft in eine Festung mit multipler Nutzung: Gefängnis, Exekution, Residenz oder Fluchtburg der Päpste, mit dem Petersdom über unterirdische Gänge verbunden. Obenauf thront Erzengel Michael.
Castel Sant'Angelo - prominente Kulisse für Volksvergnügen

Die dunklen Seiten Roms sind attraktiv für Besucher. Besonders dann, wenn sie unterhaltsam in Szene gesetzt, gewissermaßen aufgehellt werden. Und dazu haben Römer:innen offensichtlich ein Nationaltalent - und Neurömer:innen spielen mit.
Dann verwandelt sich eine Kultstätte mit wechselvoller Geschichte zur Kulisse für Street Art, Straßenmusiker, Schausteller, Fotoshooting mit Gladiatoren und Produkt-Marketing.























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