Torsi, Toga und Turbinen - eine energetische Allianz
- Hilda Steinkamp

- 9. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Antike Artefakte vor historischer Industriekulisse in der Centrale Montemartini Roma

Auf dem Laufsteg einer Industrial Fashion Show

wähne ich mich, als ich durch ein Fabriktor in eine Ausstellung schlendere.

Spontanes Motto in meiner bornierten Erwartung, als ich in der Riesen-Ausstellungshalle stehe: Roman Toga Revival.

Als würden im nächsten Moment lebendige Models in faltig drapierten Gewändern, wie sie etwa für Jean Paul Gaultier laufen, über den Mittelweg der Industriehalle staksen, im edgy catwalk swing, mit trotzig-triumphaler poker-face attitude, revitalisierte Gestalten aus einer versunkenen 2500-jährigen römischen Welt.
Die Toga als fashion statement? Ja, drapery elements in der Haute Couture holen heute durchaus astronomische Preise von 12-24.000 €, im Pret-a-porter-Sektor bescheidene U100 €.
Toga und Turbinen
Und hier? Nichts dergleichen! Gewänder und Gestalten sind echt. Alt. Aber mausetot, in Marmor gemeißelt. Die ältesten aus dem 5.-1. Jh. v. Chr., der Römischen Republik, die jüngeren aus dem 1.- 4. Jh. n. Chr., dem römischen Kaiserreich.

Das Architektur-Setting ist jünger, gehört aber auch schon zum alten Eisen: Die Centrale Montemartini wurde 1912 unter dem Namen ihres Ingenieur-Erfinders als römisches Elektrizitätswerk in Betrieb und 1963 wegen veralteter Technologie wieder vom Netz genommen.
Römische Kleiderordnung

Nicht jedes Gewand ist eine Toga im alten Rom, wenn ich mir die Statuen so ansehe. Google-Pause. Also, in der römischen Kleiderordnung ist das so: Die Toga ist

Männern vorbehalten: ein Stück Stoff, 6m x 2,5m, Halbkreis, Winterwolle, Sommerleinen, ohne Knoten, Gürtel, Bänder getragen, bodenlang, so um den Körper drapiert, dass nichts verrutscht, der rechte Arm bleibt frei, zum Tragen von Schriftrollen u.Ä.
Verheiratete freie Römerinnen tragen eine Stola, ein langes Überkleid über einer Tunika (Unterwäsche). Frauen niedrigen Standes wandeln im Unterkleid.

soziales Statussymbol: für freie Bürger Roms; Wollweiß für Inhaber öffentlicher Ämter, mit Purpurrand für hochrangige Amtsinhaber; dunklere Farbe für gewöhnliche Leute und bei Trauer; Reinweiß (candida) für Bewerber (->„Kandidat“) eines öffentlichen Amts.
politisches Statement: Unterscheidungsmerkmal zwischen Bürgern Roms (cives Romani) inkl. freigelassener Sklaven (liberti) und Bewohnern der römischen Provinzen (peregrini), bis Kaiser Caracalla 212 n. Chr. allen freien Reichsbewohnern römisches Bürgerrecht verleiht.
Ich suche nach Gesichtern nach diesen vielen torsi und lande im Parterre.
I volti della Repubblica,
die Gesichter aus der Römischen Republik - mit und ohne Körper - zeugen von Ahnenverehrung.

Anders als die Griechen, die mit Styx und Hades eher den Übergang ins Totenreich zelebrierten, erinnern Römer mit Porträts und Figuren an das gesellschaftliche Ansehen ihrer Ahnen:


Mit dem Recht am Bild (ius imaginum) ihrer Vorfahren ehren römische Patrizier noch auf andere Weise ihre Toten. Masken der Verstorbenen tragen sie öffentlich zu bestimmten Feiern. Die Statue "Togato Barberini" (10-1 v. Chr.) zeigt einen Patrizier im Togagewand mit den Köpfen von Vater und Großvater in den Händen.
Auf Spurensuche
Mich zieht es noch einmal auf die 1. Etage. Ich will verstehen, wie die vielfältigen Ausgrabungsfunde in Maschinen- und Kesselraum mit der neueren Stadtgeschichte Roms zusammenhängen.

Dazu schaue ich mir auf den Erklärtexten der Exponate Fundorte und -daten genauer an. Und heureka (sorry, griechische Anleihe): Die Fundstücke wurden ab dem späten 19. Jh. bis in die 1950er-Jahre entdeckt. Woran liegt das?
Antik-Funde im Immobilien-Boom
Die italienischen Stadtstaaten schließen sich 1861 zum Vereinten Königreich zusammen. 1870 wird die neue Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegt.
Damit wächst das Interesse an Roms antiker Vergangenheit als einheitsstiftendem Geschichtsbewusstsein der neuen Nation. Archäologen führen die ersten punktuellen Grabungen des 17./18. Jahrhunderts fort: an den Monumentaldenkmälern Fori Romani, Colosseo, Circo Massimo, Palatino, Campidoglio, Pantheon.

An beweglichen Funden aus dieser "Gründerzeit" fällt mir ein Fries mit einer Kriegsgöttin im Stil der griechischen Atena auf. Auch eine pastorale Szene aus dem frühen Kaiserreich. Beide in den 1880er-Jahren im Erdreich um das Colosseo entdeckt.

Auch im 20. Jahrhundert überraschen Funde aus Roms unerschöpflichem unterirdischen Speicher, wie dieser Fries aus den Hängen des kapitolinischen Hügels:

Doch die meisten Artefakte in der Centrale stammen aus Ausgrabungen anderer Art. Zufallsfunde, bei Bauarbeiten an weniger prominenten Orten der antiken Vergangenheit. Denn mit der neuen Hauptstadt steigt der Bedarf an Wohnraum und Infrastruktur. Ich greife ein paar Baustellen auf.
Buddeln und bauen
Auf die Via Veneto drängt's in der neuen Hauptstadt Aristokraten und gehobenes Bürgertum. Sie avanciert im Bauboom der 1880er-Jahre zur Prachtstraße in Roms luxuriösestem Viertel.

Prestige-Gegend war sie bereits im 17. Jh., als neue, barocke Prachtbauten auf die Villenruinen und Gärten aus spätrepublikanischer Zeit gesetzt wurden (daraus die Eros-Figur, 1. Jh. v. Chr.).
Als Flanierstraße für Promis aus Film, Fashion und Politik ist die Veneto im dolce vita der 1950er-/60er-Jahre auf eine Prominenz von mehr als 2000 Jahren stolz:
Auch die Nebenstraße der Veneto, Via Boncompagni, erhält neue Bauten im neobarocken Stil und gibt Kunstschätze aus ihrem Untergrund frei, wie diesen Fries:

Im Stadtteil Esquilino auf dem höchsten der sieben Hügel Roms boomt es mächtig.

Roma Termini, der Hauptbahnhof, entsteht hier ab den späten 1860er-Jahren. Massive Erdbewegungen für ein riesiges Schienennetz fördern Kostbares zutage.
Die Horti del Tempio di Minerva Medica, eine kaiserliche Gartenanlage aus dem 4. Jh. n. Chr., werden beim Bahnhofsbau "übertage" entdeckt. Pavillon und Skulpturen waren teilweise im Mittelalter demoliert und als Baumaterial genutzt worden.
Das Wohnviertel Esquilino selbst glänzt mit monumentaler Architektur im umbertinischen Stil (benannt nach König Umberto I.) rund um die neugestaltetet Piazza Vittorio Emanuele II., dem ersten König gewidmet. Ruinöses Inventar aus Villen, Gärten und Grabstätten dringt dabei ans Licht, u.a. ein Kopf von Julius Caesar, eine Aphrodite-Statue (um die Zeitenwende), Grabfresken (ca. 3. Jh. v. Chr.):

Die Metro(politana di Roma) wird ab 1940 gebaut, die erste Linea A 1955 eröffnet. Die Bauzeit macht versunkene antike Einzelstücke sichtbar.
Und einen Großfund: Die Domus in Via Cavour, eine Luxusvilla aus dem 2. Jh. n. Chr., mit gut erhaltenen Mosaikböden und Marmorstatuen:



Faszinierend ein römischer General "in heroic nudity". Eine griechisch-athletische Wechsel-Statue für das jeweils frisch gekürte Ehrenhaupt. Und nackt muss der Held sein - perfektionierte Kraft und Schönheit.
Via Cristofero Colombo entsteht in den 1950er-Jahren - eine Schnellstraße zwischen Roma Centro und Lido di Ostia, wichtige Verkehrsader für die wirtschaftliche Nachkriegszeit, die fortschreitende Urbanisierung bis hin zur Küste und das wiedererwachte Freizeitbedürfnis der Römer: tutti al mare.

Die ca. 30 km lange Ausfallstraße wird viel bewundert und genutzt: doppelspurig in beiden Richtungen, ein üppiger Oleander-Streifen dazwischen, von Pinienreihen flankiert, mit schmaleren Seitenstreifen, die zu anliegenden Wohnvierteln führen.

Schon vor dem 2. Weltkrieg legt der Tiefbau römische Grabmale entlang antiker Ausfallstraßen frei. Bestattungen außerhalb der Stadtmauern waren römisches Gesetz.
Dazu gehört die antike Verkehrsader Via Ostiense von Rom nach Ostia Antica, auch Mussolinis ambitioniertes Autobahnprojekt Via del Mare in den 1920er-/30er-Jahren.


Rom wächst weiter im 21. Jahrhundert. Der Besucherstrom auch. Der Ausbau eines neuen Abschnitts der Linea C, der direkt ins centro storico führen soll, wird bis heute durch immer neue archäologische Funde verzögert. Böse Zungen sprechen von Ausreden für logistische Pannen. Im Heiligen Jahr! Roma kontert an der Baustelle plakativ und wirbt für die Pflege seines Kulturerbes:

Nachhaltige Industrie-Immobilie
Mit der Umwidmung des Elektrizitätswerks setzt Roma Capitale die Kette seiner architektonischen Wiederverwertung fort. Das ungenutzte Werk war erst eine Notlösung: Lagerhalle mit 2000m² Fläche für 400 Kunstobjekte während größerer Umbaumaßnahmen 1995 in anderen Museen.

Dennoch sollte die Öffentlichkeit Zugang haben.

Die erste Ausstellung 1997, "Macchine e Dei" (Maschinen und Götter), kam gut an beim Publikum. Das blieb so. Seit 2005 gehört die Centrale zur Gruppe Musei Capitolini.
Kein Magnet für Massenbesucher. Aber ein beschaulicher und "cooler" Ort mit Aircon, um die Symbiose zweier monumentaler Größen auf sich wirken zu lassen: gigantisch große Maschinen aus Roms industrieller Entwicklung und ästhetisch überragende Kulturzeugen aus Roms Zivilisationsgeschichte.

Nach 20 Jahren Museumsbetrieb werden Bauarbeiten nötig: Barrierefreiheit für die weltweit einmalige Show von Antik-Kunst im Industrie-Komplex.

Bodenständig bleibt die Centrale - durch die strategische Lage an der antiken Handelsstraße Via Ostiense im traditionellen Arbeiterviertel Testaccio und in Tibernähe. Zugleich verleiht das umgewidmete E-Werk dem Stadtteil einen trendigen Touch.
Rom kümmert sich um sein Kulturerbe
und
verändert sich dabei:

Roma eterna
eben!
















































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