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König Kartoffel im Pasta-Land

  • Autorenbild: Hilda Steinkamp
    Hilda Steinkamp
  • vor 24 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 51 Minuten

Der Knolle auf der Spur quer durch Lazio

La Sagra della Patata a Leonessa
La Sagra della Patata a Leonessa

Vom Acker gemacht

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hat sich die Kartoffel längst schon in Lazio, am Ende des Sommers. Geerntet und eingesackt, wird sie im Oktober gefeiert. La Sagra della Patata - Erntefest für ein Feldprodukt, das in reicher Vielfalt auf italienischen Äckern von Nord bis Süd sprießt, im Zwischenlager die Scheunen der Kartoffelbauern füllt und dann mit Traktor und Anhänger zentnerweise zum wohlfeilen Verkauf in die Ortschaften gekarrt wird.


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Ganze Dörfer räumen ihre Wege, Wiesen und Plätze frei für die Ankunft von König Kartoffel. Ein munteres Markttreiben im Volksfeststil. So auch in Leonessa, einem 2000-Seelen-Ort 130 km östlich von Rom, jenseits des Apenninenkamms.


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Christliche Fest-Preise im Ort, verhandelbar in Aktionen am Straßenrand, wo Autofahrer zu spontaner Vollbremsung und zum Blitzkauf der Kartoffel im 10-kg-Sack zu 10 Euro bereit sind.

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Der Weg zur Kartoffel-Hochburg Leonessa ist das halbe Ziel. Dreiviertel der Strecke über Provinz- und Staatsstraßen, davon einige Abschnitte in der nicht unüblichen Kategorie strada deformata, gibt reichlich Anlass zu Zwischenstopps und zur Aufnahme von Landschaften in Kopf und Kamera:


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Und plötzlich bin ich da. Auf dem Kartoffelfest in Leonessa. Schon 2 km vor der Ortschaft beginnen die wilden Parkstreifen an den Zufahrts- und Nebenstraßen. Ein singuläres Ereignis eben! Zulauf aus weitem Umkreis. An einem einzigen Sonntag im Oktober. Jedes Jahr aufs Neue. 2025 zum 35. Mal.


Der Ernte sei Dank! Die Besucherzahl übertrifft die Dorfbewohner um einiges. Zur Kartoffel gesellen sich andere Produkte aus Feld, Wald und Wiese. Und aus diversen Industrien: Textil und Leder, Lebens- und Genussmittel, Haushalt und Technik. Trödel darf auch nicht fehlen. Der Umsatz an den ambulanten Markständen und in den bodenständigen botteghe e ristoranti lässt die Bilanzen und Herzen der Händler höherschlagen. Und stimmt die königliche Gefolgschaft froh.

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Alles bar, in contanti, versteht sich. Plastikgeld ist nicht willkommen. Die Gewinnmargen jenseits der Kontobewegung bleiben so nebulös. Wer Bares nachfüllen will, tut dies am einzigen heute zugänglichen Bankomaten des Dorfes, im umgewidmeten Gemäuer einer einstigen Dorfkapelle, die das größte italienische Kreditinstitut beherbergt.


Wo geht's denn hier zur Kartoffel?

Roh wie zu den annoncierten Varianten der köstlichen Knolle?

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Mit dem Besucherstrom schiebe ich mich im Schneckentempo vorwärts zwischen Zeltständen in Doppelreihen.


Und mache unterwegs zur Knolle andere lukullische Bekanntschaften.



Bio-Lebensmittel wie aus 1001 Ackerland:
Genussmittel für Gaumen und Gemüt:
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Modische Dauerbrenner und Wärmendes für die milde Wintersaison:
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Wo weißer Rauch aufsteigt,

und die Nachmittagssonne himmlische Strahlen über den Hügel schickt:

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ist die Botschaft im katholischen Rom und darüber hinaus eindeutig: Wir haben Essen! Die profane Verheißung auf der Dorfwiese. Die Schlangen geduldig wartender Gäste sprechen für die Qualität der Kartoffel-Kreationen. Und derer gibt es mehr, als ein knurrender Magen und mein Blog aufnehmen können. Schon die klangvollen Namen machen satt:

Crocchette di patate con cuore di mozzarella
Crocchette di patate con cuore di mozzarella


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Patate e patatine fritte al forno - nicht aus der öligen Fritteuse
Patate e patatine fritte al forno - nicht aus der öligen Fritteuse
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Und bekanntlich gehören Gnocchi nicht unbedingt zur Pasta-Familie, sondern sind auch Kartoffelgebürtige, hier in den Varianten mit pesto alla genovese und alla puttanesca (scharf nach Hurenart). Fatti a mano, klar, die Hand des Könners war im Spiel:


Die Knolle ist heute King, alles andere vom Grill ist Beiwerk:


Die Kartoffelküche hält noch mehr Überraschungen parat: Patata Chips! Kurz eingetaucht in aglio e olio, hauchfein geröstet al forno. Für den Durst gibt's alternativ zur handelsüblichen Abfüllung einen frischen Strahl aus dem Brunnen, hier wie in ganz Lazio von reinster Trinkqualität:


Und schließlich zur kreativen Königsdisziplin - Kartoffeln am laufenden Meter:

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Keine Chance, in absehbarer Zeit an diese Meterware zu kommen. Kehrtmarsch! Ich habe noch eine zweite Liebe - die Pizza. Und die wird hier als pizza fritta kredenzt. Die Männer hinten im Zelt bereiten mit ruhiger Hand die Frittiervorlage zu und kassieren geschäftsmäßig den mäßigen Obolus von 5 Euro.


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Die Frauen vorn im Zelt sind anders. Sie sollen den Pizzafladen füllen: mit süßer Nutella, käsigem caccio e pepe oder rauchigem prosciutto di Parma. Doch dann rauschen plötzlich Klänge einer canzone italiana durchs Zelt. Mit tönenden Kehlen und flottem Tänzchen der Frauenliga wird mein Pizzamahl zum Entertainment. Dass im Trubel mein gesalzener Schinken in einer gezuckerten Pizzatasche landet, erhöht noch meinen Genuss:


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Wer Lust hat, sich in der Kartoffel-Kunst zu üben, nimmt einen Sack Rohmaterial mit nach Hause.

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Wer etwa die handgefertigten Kartoffelchips nachmachen will, lässt sich von einem wortgewandten Vertreter von Haushaltshelfern in die Schneidkunst von hauchdünnen Kartoffelscheiben einweisen.




Als Kind aus deutschen Landen,

noch dazu mit bäurischen Wurzeln, ist mir die Kartoffel am Lagerfeuer wie aus Topf, Mikrowelle und Ofen bekannt und beliebt. Ein teutonisches Grundnahrungsmittel in deutschen Küchen. Dass ausgerechnet Italien, das Pasta-Land, der Kartoffel wie einem König huldigt, das überstieg bisher mein interkulturelles Verständnis.

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Aber - Not macht einfallsreich! Lange war sie verpönt im Römerland, die sonderbare Knolle von oft hässlicher Gestalt, importiert von spanischen Seefahrern aus dem Inkareich. Verächtlich wurde sie nach dem ähnlich unattraktiven, aber wertvollen Trüffel tartufolo benannt. Erst in der Hungersnot des 18. Jahrhunderts fanden Italiener Geschmack an der Knolle und tauften sie patata, nach dem Inkawort papa. Sättigend und wohlschmeckend ist sie längst kein armer Leute Essen mehr.


Kurzum - die Kartoffel ist salonfähig in Italien. Geworden. Viel mehr als eine Beilage. Auch der Gourmet-Influencer EATALY widmet in Rom zwei Oktober-Wochenenden der Knolle, treu seinem Wahlspruch: "Isst du besser, lebst du besser."


Die Doppelliebe der Römer zu pasta e patata

hatte ich schon vor dem Kartoffelfest in Leonessa entdeckt. Pizza con le patate e salsiccia ist eine römische Erfindung, heißt es. Und wird fürstlich verehrt, als la Regina croccante di Roma. Keins der modischen trend foodies! Ein Stück römischer Esskultur! Mit Kultstatus. Schlicht, aber unwiderstehlich.

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La pizza con le patate lockt mich periodisch auf den Mercato di Testaccio in Rom. Gewürzt mit Gorgonzola und Rosmarin, auf hauchdünnem mozzarella-weißem Knusperteig, ohne Tomaten, die salsiccia eine würzige Fleischzugabe, ist diese geballte Ladung an Kohlehydraten eine himmlische Verführung. Der ich gern ergeben bin.


Und Gambero Rosso, italienischer Güte-Papst nicht nur für vini, auch für pizze, spendet seit Jahren seinen Medaillensegen Casa Manco am Marktstand 22 in Testaccio, einer römischen Institution, der besten in ganz Lazio.


Ihre Erfolgs-Kombi von pizza e patata ist konkurrenzlos unter den anderen Marktanbietern von pizza al taglio. Hat Kultstatus.


Die Stücke werden vom pizzaiolo je nach Appetit und Augenmaß der Kunden geschnitten, gewogen, nochmal in den forno geschickt, derweil berechnet und abkassiert. Und dann genüsslich vom Pappteller an Klapptisch oder Theke verspeist.


Roman street food vom Feinsten!





Dass die Genießer-Tage im römischen Oktober

keine Erfindung der Neuzeit sind,

sich von den Bacchusfesten im antiken Rom speisen,

landessprachlich OTTOBRATA heißen -

das ist wieder eine eigene Geschichte.

In meinem Blog.

Demnächst ;-)!


 
 
 
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